Allgemein 16.01.2015

Gespräch zur Kunstkopfreihe: Ulrich Gerhardt & Ulrike Brinkmann

Kunstkopfstudie © René Fietzek

Ab dem 18.01. feiert Deutschlandradio Kultur das 40-Jahre Jubiläum des Kunstkopfes mit einer kleinen Sendereihe. Den Anfang macht am 18.01. um 18:30 Uhr das Hörspiel „Auf dem Chimborazo“ von Tankred Dorst.

Zum Auftakt sprach Elisabeth R. Hager mit Regielegende und Kunstkopfpionier Ulrich Gerhardt und der langjährigen Redakteurin von Deutschlandradio Kultur Ulrike Brinkmann.

Herr Gerhardt, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie hören, dass wir für unser Hörgame Projekt BLOWBACK | DIE SUCHE die Kunstkopf-Technologie, mit der Sie schon vor 40 Jahren gearbeitet haben, aus dem Keller geholt haben?

©Deutschlandradio - Frank Stiller
Regisseur Ulrich Gerhardt (links) mit Wolfram Berger bei den Aufnahmen zu „Meine Preise“ von Thomas Bernhard, 2010 ©Deutschlandradio – Frank Stiller

Ulrich Gerhardt: Die Kunstkopf-Technologie ist ja nicht altmodisch, die ist zukunftsweisend. Sie ist das modernste, was wir haben: 3D Hören. Heute gibt es jede Menge Filme in 3D Optik. Und wir haben das mit dem Hören schon vor 40 Jahren gemacht! Ich finde es sehr gut, dass man damit weitermacht.

Frau Brinkmann, was ist das erste Kunstkopfhörspiel, das Sie erinnern?

Ulrike Brinkmann: Als ich 1982 zum RIAS kam, lief die Kunstkopf-Phase gerade aus. Die Produktion als ich kam, war „Gründliche Anleitung zum alternativen Landleben“ von Götz Naleppa. Kunstkopf. Draußen. Kommune. Landleben. Erforschung alternativen Lebens. Ein Mehrteiler mit wunderbar intensiv, ruhigen und brillanten Naturaufnahmen.

Welche Vorzüge und Schwierigkeiten birgt das Kunstkopf- Verfahren?

Ulrike Brinkmann ©Deutschlandradio - Sandro Most
Ulrike Brinkmann ©Deutschlandradio – Sandro Most

U.G.: Der Kunstkopf erfordert natürliche Räume. Alles, was man im Studio macht, ist schlecht. Die Studios sind dafür nicht gemacht. Es müssen Räume sein, die „normal“ klingen: Große Säle, Philharmonie, was weiß ich… Und vor allem die Natur. Das ist das Allerschönste, wenn man draußen aufnimmt. Man kann jemanden 20 Meter weit entfernt sprechen hören, was man ja sonst nicht kann. Dafür muss man Geschichten suchen, die man in interessanten Räumen inszenieren kann.

U.B.: Die Schwierigkeit in der ersten Hochphase des Kunstkopf war, dass die Produktionen in der Herstellung aufwendig waren. Da hat man natürlich als Dramaturgin geschaut, hat man einen Stoff, der einem die Möglichkeit zu spektakulären Räumen überhaupt bietet? Man muss Autoren bitten, speziell für den Kunstkopf zu schreiben. Es gab in den 80ern nach der großen Euphorie eine gewisse Müdigkeit, Kunstkopf zu hören. Man muss ja bedenken: Man musste damals auch schon Kopfhörer aufsetzen. Und es war nicht wie heute, wo jeder Mensch Kopfhörer hat in der U-Bahn und unterwegs und unabhängig ist.

U.G.: Das hätten wir gebraucht damals. (lacht)

Drei Ebenen des Hörens © Ebs

Drei Ebenen des Hörens © Ebs

U. B.: Ja! Aber damals gab es das nicht. Du warst festgezurrt in deinem Stuhl im Wohnzimmer und es gab noch nicht einmal Kopfhörer, mit denen man sich durch den Raum bewegen konnte.

U.G: Und du konntest es nicht zu mehreren hören. Du warst damit alleine.

U.B.: Vorher musste auch eine Ansage laufen: „Und jetzt setzen Sie sich bitte die Kopfhörer auf. Wir geben Ihnen auch drei Minuten, damit sie die auch finden. Und machen Sie sich noch ’nen Tee dazu und dann kommen Sie in den Genuss die Kunstkopf-Stereofonie zu erleben.“ (lacht…) Das war also aufwendig. Von der Produktion und vom Schnitt her auch. Man bekam ja draußen, wenn man im Freien aufgenommen hat, vieles mit, was man nicht im Hörspiel haben wollte. Da hörtest du irgendwo in der Ferne in Franken zum Beispiel irgendwelche Bauern über einen Traktor reden und du konntest das nicht rausschneiden.

Sind das die Gründe dafür, warum das Kunstkopfverfahren zwischenzeitlich verschwunden ist?

U.G.: Kunstkopf ist wunderbar, wenn man realistische Raumwirkungen erzielen will, aber es fehlt immer das Vorne. Das hat die Macher wie das Publikum irritiert. Dazu kam, manche Leute wussten nicht Bescheid über die räumliche Wirkung des Kunstkopfes. Sie haben auch einfach falsche Stoffe genommen. Wirklich interessant sind Räume nur, wenn sie natürlich sind.

U.B.: Wir haben dann auch oft die „Jecklinscheibe“ eingesetzt, die etwas weniger aufwendig war.

U.G.: Die habe auch ich als erster hier eingeführt. (grinst)

U.B.: Ja, das stimmt. Die „Jecklinscheibe“ ist nicht für Kopfhörer gedacht, sondern für Lautsprecher, mit denen du dann bessere Raumeindrücke hattest.

Frau Brinkmann, als Redakteurin von Deutschlandradio Kultur senden Sie im Januar eine Reihe mit Kunstkopf-Hörspielen. Was erwartet uns da?

U.B.: Es wird eine kleine Reihe mit 4 Produktionen, die ein Bild davon geben wird wie unterschiedlich man mit Kunstkopf arbeiten kann. Die erste Produktion ist unter der Regie von Ulrich Gerhardt, ein Stück von Tankred Dorst, „Auf dem Chimborazo“. Da begleiten wir eine Familie mit ihren kleinen Dramen wie sie den Berg hinaufsteigt, um oben ein Signalfeuer anzuzünden, ein Gruß für die Freunde ‚drüben‘. Eine frühe Produktion von 1974.

U.G.: Es geht um die DDR. Eine Familie, die nicht mehr rüber kann, steigt auf einen Berg, um auf die Fabrik zu gucken, die sie einmal besessen hat (lacht…) Mit penetrantem Vogelgezwitscher, das nicht rauszukriegen war. (alle lachen)

U.B.: Das zweite Stück ist eine Übernahme vom WDR, Gertrude Stein, “ Doktor Faustus elektrisiert„. Hier war die Frage: Wie bildet man Musik und Text räumlich ab?

U.G.: Ich glaube sogar die Beatles haben sich mit Kunstkopf beschäftigt.

U.B.: Und Zappa. Zappa doch auch! 

Das dritte Stück ist „Hemingway in Pamblona“ von Robert Matejka. Da wird ein Stierkampf abgebildet mit wahnsinnigen Originaltönen aus der Arena und als Textspur gibt es Auszüge aus dem Roman „Fiesta“ von Hemingway. Bei der vierten Produktion war ich dann auch noch Assistentin: „Triebwerk“ von Robert Matejka, ein Hörspiel von Michael Gaida.

Wenn wir heute ein Hörgame mit Kunstkopf produzieren, ist das dann aus Ihrer Sicht Liebhaberei oder gewinnen wir durch den Rückgriff etwas dazu?

U.G.: Es kommt darauf an, wie’s funktioniert. Wenn es funktioniert, ist es zeitgemäß.

U.B.: Das ist ja keine veraltete Technik, sie ist nur nicht mehr angewendet worden. Da ist das Hörgame schon sehr gut in seiner Zeit. Vor allem, es ermöglicht ja den Mitspielern die Teilnahme, es gibt ein Gegenüber, etwas Partizipatorisches und das ist wunderbar.

U.G.: Darf ich euch zum Schluss noch ’ne Anekdote erzählen?

(Zustimmendes Nicken im Raum) Also vor zwei Wochen hatte ich eine Augenoperation. Während der Operation sprach der Operateur mit dem Narkosearzt. Sie unterhielten sich über Morgenmüsli und Spiegeleier und schnitten mir währenddessen im Auge herum. Dann gab es eine längere Pause, und als der Arzt wieder anfing, sagte er zum Narkosearzt: Wissen Sie, der Herr Gerhardt ist nämlich Rundfunkredakteur. Das sagte er schmunzelnd. Da sagt der Narkosearzt: Ach das, dann kennen Sie sich bestimmt mit Kunstkopf-Stereofonie aus! Ist das nicht irre? (lacht)